Ein einzigartiger Übergang

 

Unsere Welt kippt um. Unsere Zivilisation, unsere Menschheit, unsere Generation. Unsere Welt ist im Begriff, in eine andere Seinsweise überzugehen. Es geht nicht bloss um einen Wandel oder eine Weiterentwicklung, sondern um eine tiefe zivilisatorische Umwälzung. Um das Ende einer Periode, und folglich um den Anfang einer neuen Zeit. Um eine Seinsveränderung, die alle Parameter des Lebendigen betrifft.

Eine der Konsequenzen dieses grundlegenden Übergangs ist dessen schon jetzt spürbare Auswirkung auf die religiösen Traditionen, und insbesondre auf den Protestantismus. Letzterer hat seine Wiege vorangegangenen Umschwung im 16. Jahrhundert. Im einer Zeit voll religiöser Konflikte. Das Individuum entstand in der Gesellschaft. Man entdeckte die antiken Philosophien neu. Die Grenzen der bekannten Welt wurden immer weiter verschoben. Neue technische Mittel revolutionierten die Übermittlung von Texten und Informationen.

Die reformierte Tradition besitzt also bereits das nötige Rüstzeug, um die „Zeichen der Zeit“ zu entziffern und den notwendigen Prozess einer Neuorientierung in die Wege zu leiten. Die ecclesia reformata geht immer mit der Dynamik des reformanda einher, einer sich immer neu reformierenden Kirche.

 

Aufbruch

 

Die biblischen Schriften sind von der Energie des Überganges durchzogen. Von der Überquerung des Schilfmeeres bis zum Übergang der Auferstehung. Einer der ersten Schritte besteht darin, im jeweiligen Moment das gegenwärtig Erforderliche zu erkennen.

Es geht zunächst um eine Entsagungsarbeit: Auf das, was keinen Sinn mehr macht, auf die sperrigen Gepäckstücke aus der Vergangenheit, auf eine für unsere Zeitgenoss*innen unhörbar gewordene Sprache müssen wir verzichten lernen.

In der protestantischen Tradition ist eine solche Arbeit eine theologische Aufgabe; sie soll aber in der Form einer transversalen Theologie durchgeführt werden, im Gespräch mit den anderen intellektuellen und konfessionellen Familien, mit der Welt der Kultur und der Künste und auch in engem Austausch mit der Gesellschaft insgesamt.

So verstörend dieser Aufbruch auch sein mag, stellt er gleichwohl eine Chance für eine religiöse Tradition dar, die wie die anderen historischen Religionen auch aus der sogenannten „Rückkehr des Religiösen“ keinen Gewinn zu ziehen vermag.

 

 

Das Wesentliche wiederfinden

 

Für das sich auf der Flucht befindliche Volk Israel war einer der Gründe für die Wüstenwanderung die Notwendigkeit, sich erneut auf das Wesentliche auszurichten: ein Ruf, eine Vision und ein Aufbruch.

Die Kraft dessen, was das Herz oder die DNA des Protestantismus ausmacht, wiederzufinden, das ist die Aufgabe, die in den nächsten Jahren auf den Protestantismus wartet. Eine unerlässliche Arbeit zurück zum Wesentlichen, um die sich ankündigende Wüste überqueren zu können.

„Umkehren“, auch eine biblisches Grundthematik. Es besagt nichts anderes als den Weg auf das Leben hin unter dem Siegel des Bündnisses mit Gott; ein Leben auf der Erde mit anderen, mitten in einer oft undurchsichtigen und scheinbar hoffnungslosen Geschichte, einer Geschichte aber, in der Gottes Geist weht und uns erlaubt, uns als autonome Individuen zu entdecken, die sich gegenseitig anerkennen können.

Im Laufe dieser Wüstenwanderung werden neue Formen von Spiritualität auftauchen: Ergebnisse eines Gespräches mit den uns geschenkten Überlieferungen, den Sehnsüchten unserer Zeit und der wieder entdeckten Neuheit des Evangeliums.

 

 

Eine Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz im Übergang

 

Die Ankunft ins Gelobte Land zählt weniger als der Marsch durch die Wüste. Für diese Durchquerung werden aber Bindungen notwendig sein: ein echter Dialog zwischen den Gliedkirchen, damit wieder zutage tritt, was eint, was unterschiedlich ist und was man zusammen in Angriff nehmen könnte.

Auch mit den anderen christlichen Traditionen muss das Gespräch erneuert werden in einer Zeit, in der die Ökumene herausgefordert ist, neue Wege zu gehen. Denn offenkundig ist die Zeit der grossen Übereinkünfte vorüber. Was jetzt not tut ist eine Ökumene der Konvergenz um im Hinblick auf die entscheidenden Gesellschaftsfragen ein gemeinsames Gesicht zu präsentieren.

Darüber hinaus wird der Dialog mit den ausserchristlichen religiösen Traditionen zu den Prioritäten und den Herausforderungen der kommenden Jahre gehören, insbesondere das Gespräch der abrahamitischen Religionen, d.h. mit dem Judentum und dem Islam.

 

 

Warum kandidiere ich für das Amt der Präsidentin des Rates der EKS?

 

Mein Doppelprofil als Theologin, die die « Zeichen der Zeit » denkt, und als Pfarrerin vor Ort, die sich um erneuerte Formen geistlichen Lebens bemüht, hat mir ermöglicht, sowohl solide intellektuelle Grundlagen als auch einen innovativen Geist auszubilden. Meine Eingliederung in die Welt der Kultur als Direktorin des « Musée international de la Réforme » hat mich darin ermutigt, Wege zu suchen, um Sinnangebote für eine in tiefen und raschen Umwälzungen begriffene Welt zu formulieren.

 

Die theologische und religiöse Arbeit, für die ich mich seit dem Beginn meines Wegs engagiert habe, hat u.a. dazu geführt, dass ich in den 1990er Jahren mit dem Vorsitz der theologischen Kommission der SEK betraut wurde und an zahlreichen ökumenischen Treffen, sowohl auf lokaler wie auch auf internationaler Ebene, teilgenommen habe. Die Funktion der Präsidentin des Rates der EKS fasse ich als Fortsetzung der bisherigen Zusammenarbeit im Geist gegenseitiger Achtung auf. Mein Ziel wird darin bestehen, Brücken zu bauen, Inklusion, Dialog und Zusammenhalt zu fördern.

 

Für mich, soll ein Leadership nicht autoritativ, sondern visionär und partizipativ sein. Den Vorsitz im Rat der EKS fasse ich als eine Moderationsfunktion auf, die den für die reformierte Tradition konstitutiven Pluralismus achtet. Die Förderung der Gemeinschaft zwischen den Gliedkirchen kann nur dann gedeihen, wenn von beiden Seiten Vorschläge und Anregungen kommen. Das, was zur Zeit auf dem Spiel steht – den reformierten Glauben zu bewahren und den Protestantismus mit all seiner Pluralität in der heutigen Welt zu positionieren – kann nur auf diese Weise gelingen.

Zu diesem Zweck möchte ich meine Begeisterung, meine Sorgfalt, sowie meine Anpassungs- und Verhandlungsfähigkeiten in den Dienst dieser Schlüsselposten stellen.